Donnerstag, 6. Mai 2010

Stolpersteinlegung am 1. Mai 2010 vor der Haupstraße 11




Erinnern an einen Zeitabschnitt in der deutschen Geschichte, in der viele Menschen bitter erfahren mussten, was es hieß: "Juden hier unerwünscht!"
Mitschülerinnen der Klassenstufe 9 erinnern an das Schicksal von Julius und Irma Fleischer, die 1941 im Lager Jungfernhof bei Riga umkamen.

Wer war Julius Fleischer aus der Hauptstraße 11?

Julius Fleischer wurde am 6.7.1882 in Göppingen geboren. Seine Eltern waren Samuel und Emilie Fleischer, geb. Rosenthaler. Julius Fleischer wuchs mit seinen drei Geschwistern Richard, Paula und Arthur in Göppingen auf. Seit 1920 leitete er mit seinem Bruder die Korsettfabrik Rosenthal, Fleischer und Co., die sie vom Vater übernommen hatten. Sein eigentliches Interesse war es jedoch Naturheilmittel herzustellen. Dazu hatte er Räume in der Freihofstraße angemietet. Er selbst wohnte mit seiner Familie, seiner Frau Irma und den Kindern Arnold, Doris, Susanne und Richard, hier in der Hauptstraße 11 im ehemaligen Schuhhaus Gold. Die Familie Fleischer war eine angesehene Familie. Die 1894 bezogene Korsettfabrik wurde 1901 vergrößert (heute Technisches Rathaus). Die Fabrik stellte Korsetts von Weltruf her und erhielt mehrere Preise. Nach dem 1. Weltkrieg musste die Produktion eingeschränkt werden, da Korsetts nicht mehr der Mode entsprachen. Man stellte auf Nachtwäsche und orthopädische Korsetts um. 1928 wurde das Fabrikgebäude sowie das Wohnhaus in der Nördlichen Ringstraße an die Stadt Göppingen verkauft. Der Familie wurde allerdings ein Wohnrecht vertraglich zugesichert. Erst der Nazi-Bürgermeister Pack setzte sich 1935 darüber hinweg. Die Familie musste das Haus verlassen, in das Bürgermeister Pack einzog.
Im Laufe der Jahre verstärkte sich die Vorahnung von Julius Fleischer irgendwann abgeführt zu werden. 1935 bewahrheitete sich dies. Bis auf Richard wurden die drei älteren Kinder mit einem Kinderhilfstransport nach England gebracht.

Am 26. November 1941 kam Julius Fleischer mit seiner Frau und dem jungen Richard zuerst ins Sammellager nach Stuttgart und dann weiter ins Lager Jungfernhof bei Riga, das nur Richard überlebte.

Die Geschiche dieser Menschen, die soviel leiden mussten und unschuldig starben, hat mich von Anfang an sehr getroffen. Jedoch vom Leid eines einzelnen dieser Menschen zu erfahren war noch viel bewegender.
Vielleicht hat mich das Leid der Juden auch so sehr getroffen, weil ich selber aus dem semitischen Volk stamme. Aber eine solche Tat auf einen Menschen, egal aus welchem Volk oder welcher Rasse er stammt, auszuüben, ist allgemein nicht nachvollziehbar. Ich wünsche, dass die Versöhnung stets einen festen Halt findet und sich eine solche Tat nirgendwo mehr wiederholt.

(Rebecca Ahrun, Klasse 9a)

Rede für die Stolpersteinsetzung

Warum wird heute ein Stolperstein gesetzt für Menschen, die schon vor über einem halben Jahrhundert ihr Leben gelassen haben?
Er wird gesetzt, weil diese Menschen zwei unter vielen waren, die in dieser Zeit, die nicht dunkler hätte sein können, verfolgt, gequält, gedemütigt und schließlich ermordet wurden. Weil sich uns bis heute die Frage stellt, wie es soweit kommen konnte, dass Menschen andere, oftmals sogar Freunde und Bekannte, verraten und umgebracht haben, nur weil diese anders waren.
Und vor allem wird er gesetzt, weil man eine klare Stellung zu nationalsozialistischem Gedankengut beziehen will und zu dem, was damals geschah.
Wir schreiben das Jahr 1933. In Göppingen leben 334 Personen jüdischen Glaubens. Einer davon ist der 51-jährige Julius Fleischer. Er lebt mit seiner Frau Irma und seinen vier Kindern in der Hauptstraße 11 und ist Teilinhaber der Korsettfabrik Rosenthal, Fleischer und Co. Zeitzeugen beschreiben ihn als allseits beliebten, freundlichen, bescheidenen und hilfsbereiten Mitmenschen.
Auch Göppingen steht stark unter dem Einfluss des Nationalsozialismus. Das Leben der jüdischen Bevölkerung ändert sich grundlegend. An den meisten Ladentüren ist zu lesen: "Juden hier unerwünscht!" Auf der Straße werden sie beschimpft, ihre Berufe dürfen sie nicht mehr ausüben, sie sind aus jeglichen Vereinstätigkeiten und öffentlichen Aktionen ausgeschlossen, an ein halbwegs normales Leben ist nicht mehr zu denken.
Der 28. November 1941 wurde zum entscheidenden Tag im Schicksal des Ehepaares Fleischer. Die Gestapo verhaftete sie und ihre Familie und deportierte sie zum Killesberg und von dort aus weiter zum Konzentrationslager Jungfernhof bei Riga. Richard Fleischer, Julius´ Sohn, beschreibt in späteren Briefen die Umstände des Aufenthaltes im KZ. Bei -40°C wurden die Gefangenen hungernd auf engem Raum zusammengepfercht und mussten mit ansehen wie andere Unschuldige gewaltvoll ermordet wurden.
Julius Fleischer erfror am 26. Februar 1942 auf dem Jungfernhof. Seine Frau Irma wurde ungefähr einen halben Monat später vermutlich in einen LKW verladen und im Wald erschossen. Alle vier Kinder überlebten den Holocaust und wanderten nach England bzw. Amerika aus.
Wir freuen uns heute bei der Setzung dieses Denkmals dabei zu sein, da es an diesen dunklen Zeitabschnitt der deutschen Geschichte erinnern soll, denn Vergessen würde bedeuten keinen Stolperstein, sondern den Grundstein der Wiederholung, zu einer möglichen Wiederholung zu setzen.

(Daniela Eichhorn, Anke Dürr, Luca Schmidt, Corinna Wolf, Klasse 9d)