„sehr
informativ, bewegend und besser als Nachrichten oder Unterricht“
Die Klasse 7b hatte mit ihrer Deutschlehrerin Frau König
das 1953 gesendete Hörspiel „Das Schiff Esperanza“ von Fred von Hoerschelmann behandelt.
Obwohl es in der Nachkriegszeit spielt, ist die Geschichte aktueller denn je:
Illegale Flüchtlinge werden regelmäßig von einem gewissenlosen Kapitän und
Schlepper zu Horrorpreisen von Deutschland zur amerikanischen Küste gebracht. Angeblich.
Doch nachdem sie drei Wochen wie Stückgut im dunklen, lauten und stickigen
Laderaum eingepfercht waren, werden sie nachts bei Ebbe weit vor der Küste auf
einer Sandbank ausgesetzt, so dass sie bei auflaufender Flut jämmerlich
ertrinken müssen.
Während der Lektüre ging es auch um die eigenen
Einwanderungsgeschichten. Viele Eltern oder Großeltern der Schüler flüchteten
damals vor Krieg, politisch instabilen Zuständen und wirtschaftlicher
Perspektivlosigkeit nach Deutschland. Und die heutige Flüchtlingsthematik in den Medien war ständig
präsent. Um aktuelle Informationen aus erster Hand zu bekommen, luden wir am
14.01.2016 die Sozialpädagogin Frau Heike Gehrer-Shelby vom Diakonischen Werk
Göppingen zu uns ein. Sie ist seit 8 Jahren hier in Göppingen in der
Flüchtlingsberatung tätig. So bei „Zebra“ (Zentrale Beratungsstelle für
Zugewanderte), beim Cafe Asyl und als Koordinatorin und Beraterin für
Ehrenamtliche in der Flüchtlingsarbeit. Sie brachte zwei Gäste mit in den
Unterricht, zwei junge syrische Männer, die schon seit mehreren Monaten hier in
Göppingen leben.
„Ja,
es fällt uns nicht leicht, über unsere Erlebnisse zu berichten, aber wir wollen
die Menschen informieren, warum wir geflohen sind und dass wir keine
Terroristen sind“, sagen Yaser und Mohammed, die schon einmal
in einer 10. Klasse des FGY zu Gast waren. Beide hatten in Syrien studiert und
hätten unter normalen Bedingungen gute Zukunftsaussichten gehabt. Doch der gnadenlose
Bürgerkrieg, die ständigen Bombardierungen, die jahrelange blutige Unterdrückung
der Menschenrechte und Demokratie ließen ihnen keine Wahl. Obwohl sie wussten,
wie erpresserisch die Schlepper und wie gefährlich ihr Weg nach Europa werden
würde, wagten sie die Flucht.
Yaser berichtete den Schülern von seinem wochenlangen Weg
zu Fuß über die Balkanroute. Als er den Schülern seinen Weg auf der Weltkarte
zeigte, erntete er ungläubiges Staunen: Von seiner Heimatstadt Latakia wanderte
er durch die Türkei. In Izmir quetschte er sich mit weiteren 44 Flüchtlingen
auf ein 6m langes und 2 m breites Schlauchboot, das sie nach 2 Stunden zu einer
kleinen griechischen Insel bringen sollte. Doch kaum an Bord, fiel der Motor
aus und sie trieben mannövrierunfähig ohne Steuermann im Meer, bis sie selbst
den Motor wieder zum Laufen brachten. Von Griechenland ging es dann in einer Gruppe
von 25 Leuten mit einem Schlepper weiter über Bulgarien durch mehrere
Balkanländer. Um nicht entdeckt zu werden, mieden sie bewohnte Gebiete,
versteckten sich hungrig tagelang im Wald aus Angst vor der ungarischen Polizei
und ihren Gefängnissen. Endlich kamen sie dann über Österreich nach
Deutschland. Aber jetzt waren sie nur noch 5.
Inzwischen wurde er als Flüchtling anerkannt und durfte
in eine eigene Wohnung umziehen. Er lernt fleißig Deutsch, damit er eine Arbeit
finden kann. Er hofft, dass seine Familie irgendwann nachkommen kann.
Mohammed sparte die letzten Jahre eisern von seinem
Gehalt als Wirtschaftswissenschaftler, um die 7000 Euro für seine Flucht
aufzubringen. Seine Route führte ihn von Homs übers Meer nach Italien. Das ca.
60 Meter lange Schiff war mit Hunderten von Flüchtlingen vollgestopft und oft
hatten sie Angst bei schwerer See zu kentern. Als sie dann endlich auf
Lampedusa ankamen, sprangen der Kapitän und die Besatzung sofort auf und davon,
aus Angst als Schlepper für viele Jahre ins Gefängnis zu kommen. Nachdem er
sich nach Deutschland durchgeschlagaen hatte, wurde er der
Gemeinschaftsunterkunft in der Pappelallee in Göppingen zugeteilt. Nun hofft
er, dass er schnell anerkannt wird, damit er mit seinem Bruder zusammenziehen
kann, der auf der Flucht von ihm getrennt wurde und in Frankreich landete.
Mohammed spricht
gut Englisch und hat in der VHS auch schon sehr gut Deutsch gelernt. Sein Ziel:
Arbeit und eine kleine Wohnung finden. Sein Traum ist es, seine Familie
irgendwann wieder bei sich zu haben, damit auch sie hier in Sicherheit leben können.
Nachdem beide Männer ihre Fluchtgeschichte auf Englisch
und Deutsch erzählt hatten, konnten die Schüler allen dreien reihum Fragen
stellen. Ob es ihnen hier in Göppingen gefalle, wurden sie z.B. gefragt. Das
haben beide überzeugt bejaht, denn sie genössen den Frieden und die
Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit der Helfer. Was ihre schlimmsten
Erlebnisse gewesen seien? „Die Überfahrt mit dem überfüllten Boot und das
Verstecken vor den Polizisten im Wald!“, kam es übereinstimmend von beiden.
Und bei Frau Gehrer-Shelby? Natürlich versuche sie eine
professionelle Distanz zu wahren, aber die Schicksale würden sie nicht
kaltlassen, gab sie zu. Sarah, eine Schülerin der 7b, gibt Frau Gehrer-Shelbys
Erklärungen so wieder:
„Für
mich ist es das schlimmste, wenn ich bei einer Abschiebung nicht helfen kann,
Natürlich versuche ich alles gegen eine Abschiebung zu tun, jedoch gelingt mir
das nicht immer. Besonders traurig sind wir, wenn jemand sich schon gut
integriert hat. Einmal hat sich ein Mann vor mich hingekniet, fing an zu weinen
und flehte mich an: “Please help me, I need your help!“, denn er wollte
natürlich nicht abgeschoben werden. Ich versuchte ihm zu helfen, was mir nach
viel Mühe und vielem Hin und Her auch gelang.“
Sarah weiter: „Man
sah, wie wichtig ihr das Wohl der Menschen ist und wie ernst das für sie ist.
Sie hatte Tränen in den Augen. Eine wunderbare Frau, die für ihre Flüchtlinge
sehr wichtig ist. Man merkte, dass die beiden Flüchtlinge sie sehr schätzen. Es
war sehr emotional…Es wurden noch viele Fragen gestellt, die die Gäste sehr gut
beantworten konnten. Zum Schluss haben wir noch ein Gruppenbild gemacht. Das
war eine schöne Doppelstunde. Danke Frau König, Frau Gehrer-Shelby und den
beiden sehr netten und dankbaren syrischen Flüchtlingen.“
Diesem
Urteil von Sarah und ihrer Gruppe stimmten die anderen Schüler zu:
„Die
Geschichte aus der Perspektive der Flüchtlinge zu erfahren, war sehr
informativ, bewegend und besser als Nachrichten oder Unterricht. Gut war auch,
dass wir alles fragen durften. Wir haben viel Neues gelernt.“