Dienstag, 2. Februar 2016

Syrische Flüchtlinge im Gespräch mit Schülern der Klasse 7b





„sehr informativ, bewegend und besser als Nachrichten oder Unterricht“

Die Klasse 7b hatte mit ihrer Deutschlehrerin Frau König das 1953 gesendete Hörspiel „Das Schiff Esperanza“ von Fred von Hoerschelmann behandelt. Obwohl es in der Nachkriegszeit spielt, ist die Geschichte aktueller denn je: Illegale Flüchtlinge werden regelmäßig von einem gewissenlosen Kapitän und Schlepper zu Horrorpreisen von Deutschland zur amerikanischen Küste gebracht. Angeblich. Doch nachdem sie drei Wochen wie Stückgut im dunklen, lauten und stickigen Laderaum eingepfercht waren, werden sie nachts bei Ebbe weit vor der Küste auf einer Sandbank ausgesetzt, so dass sie bei auflaufender Flut jämmerlich ertrinken müssen.

Während der Lektüre ging es auch um die eigenen Einwanderungsgeschichten. Viele Eltern oder Großeltern der Schüler flüchteten damals vor Krieg, politisch instabilen Zuständen und wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit nach Deutschland. Und die heutige  Flüchtlingsthematik in den Medien war ständig präsent. Um aktuelle Informationen aus erster Hand zu bekommen, luden wir am 14.01.2016 die Sozialpädagogin Frau Heike Gehrer-Shelby vom Diakonischen Werk Göppingen zu uns ein. Sie ist seit 8 Jahren hier in Göppingen in der Flüchtlingsberatung tätig. So bei „Zebra“ (Zentrale Beratungsstelle für Zugewanderte), beim Cafe Asyl und als Koordinatorin und Beraterin für Ehrenamtliche in der Flüchtlingsarbeit. Sie brachte zwei Gäste mit in den Unterricht, zwei junge syrische Männer, die schon seit mehreren Monaten hier in Göppingen leben.

„Ja, es fällt uns nicht leicht, über unsere Erlebnisse zu berichten, aber wir wollen die Menschen informieren, warum wir geflohen sind und dass wir keine Terroristen sind“, sagen Yaser und Mohammed, die schon einmal in einer 10. Klasse des FGY zu Gast waren. Beide hatten in Syrien studiert und hätten unter normalen Bedingungen gute Zukunftsaussichten gehabt. Doch der gnadenlose Bürgerkrieg, die ständigen Bombardierungen, die jahrelange blutige Unterdrückung der Menschenrechte und Demokratie ließen ihnen keine Wahl. Obwohl sie wussten, wie erpresserisch die Schlepper und wie gefährlich ihr Weg nach Europa werden würde, wagten sie die Flucht.

Yaser berichtete den Schülern von seinem wochenlangen Weg zu Fuß über die Balkanroute. Als er den Schülern seinen Weg auf der Weltkarte zeigte, erntete er ungläubiges Staunen: Von seiner Heimatstadt Latakia wanderte er durch die Türkei. In Izmir quetschte er sich mit weiteren 44 Flüchtlingen auf ein 6m langes und 2 m breites Schlauchboot, das sie nach 2 Stunden zu einer kleinen griechischen Insel bringen sollte. Doch kaum an Bord, fiel der Motor aus und sie trieben mannövrierunfähig ohne Steuermann im Meer, bis sie selbst den Motor wieder zum Laufen brachten. Von Griechenland ging es dann in einer Gruppe von 25 Leuten mit einem Schlepper weiter über Bulgarien durch mehrere Balkanländer. Um nicht entdeckt zu werden, mieden sie bewohnte Gebiete, versteckten sich hungrig tagelang im Wald aus Angst vor der ungarischen Polizei und ihren Gefängnissen. Endlich kamen sie dann über Österreich nach Deutschland. Aber jetzt waren sie nur noch 5.

Inzwischen wurde er als Flüchtling anerkannt und durfte in eine eigene Wohnung umziehen. Er lernt fleißig Deutsch, damit er eine Arbeit finden kann. Er hofft, dass seine Familie irgendwann nachkommen kann.

Mohammed sparte die letzten Jahre eisern von seinem Gehalt als Wirtschaftswissenschaftler, um die 7000 Euro für seine Flucht aufzubringen. Seine Route führte ihn von Homs übers Meer nach Italien. Das ca. 60 Meter lange Schiff war mit Hunderten von Flüchtlingen vollgestopft und oft hatten sie Angst bei schwerer See zu kentern. Als sie dann endlich auf Lampedusa ankamen, sprangen der Kapitän und die Besatzung sofort auf und davon, aus Angst als Schlepper für viele Jahre ins Gefängnis zu kommen. Nachdem er sich nach Deutschland durchgeschlagaen hatte, wurde er der Gemeinschaftsunterkunft in der Pappelallee in Göppingen zugeteilt. Nun hofft er, dass er schnell anerkannt wird, damit er mit seinem Bruder zusammenziehen kann, der auf der Flucht von ihm getrennt wurde und in Frankreich landete.

 Mohammed spricht gut Englisch und hat in der VHS auch schon sehr gut Deutsch gelernt. Sein Ziel: Arbeit und eine kleine Wohnung finden. Sein Traum ist es, seine Familie irgendwann wieder bei sich zu haben, damit auch sie hier in Sicherheit leben können.

Nachdem beide Männer ihre Fluchtgeschichte auf Englisch und Deutsch erzählt hatten, konnten die Schüler allen dreien reihum Fragen stellen. Ob es ihnen hier in Göppingen gefalle, wurden sie z.B. gefragt. Das haben beide überzeugt bejaht, denn sie genössen den Frieden und die Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit der Helfer. Was ihre schlimmsten Erlebnisse gewesen seien? „Die Überfahrt mit dem überfüllten Boot und das Verstecken vor den Polizisten im Wald!“, kam es übereinstimmend von beiden.

Und bei Frau Gehrer-Shelby? Natürlich versuche sie eine professionelle Distanz zu wahren, aber die Schicksale würden sie nicht kaltlassen, gab sie zu. Sarah, eine  Schülerin der 7b, gibt Frau Gehrer-Shelbys Erklärungen so wieder:

„Für mich ist es das schlimmste, wenn ich bei einer Abschiebung nicht helfen kann, Natürlich versuche ich alles gegen eine Abschiebung zu tun, jedoch gelingt mir das nicht immer. Besonders traurig sind wir, wenn jemand sich schon gut integriert hat. Einmal hat sich ein Mann vor mich hingekniet, fing an zu weinen und flehte mich an: “Please help me, I need your help!“, denn er wollte natürlich nicht abgeschoben werden. Ich versuchte ihm zu helfen, was mir nach viel Mühe und vielem Hin und Her auch gelang.“

Sarah weiter: „Man sah, wie wichtig ihr das Wohl der Menschen ist und wie ernst das für sie ist. Sie hatte Tränen in den Augen. Eine wunderbare Frau, die für ihre Flüchtlinge sehr wichtig ist. Man merkte, dass die beiden Flüchtlinge sie sehr schätzen. Es war sehr emotional…Es wurden noch viele Fragen gestellt, die die Gäste sehr gut beantworten konnten. Zum Schluss haben wir noch ein Gruppenbild gemacht. Das war eine schöne Doppelstunde. Danke Frau König, Frau Gehrer-Shelby und den beiden sehr netten und dankbaren syrischen Flüchtlingen.“

 Diesem Urteil von Sarah und ihrer Gruppe stimmten die anderen Schüler zu:

„Die Geschichte aus der Perspektive der Flüchtlinge zu erfahren, war sehr informativ, bewegend und besser als Nachrichten oder Unterricht. Gut war auch, dass wir alles fragen durften. Wir haben viel Neues gelernt.“